Im ersten Quartal dieses Jahres durfte ich den Teletutorlehrgang der Bundeswehr besuchen; seit April bin ich in einer Inspektion der Offizierschule eingesetzt, die bereits vor Corona intensiv die Fernausbildung genutzt hat. Ich möchte meine Eindrücke von den Möglichkeiten der digitalen Lehre, die ich im Rahmen des Teletutorlehrgangs gewonnen habe, aufgrund der unverändert bestehenden Aktualität der Thematik teilen.
Formen der digitalen Fernausbildung
Grundsätzlich müssen bei der Fernausbildung zwei Formen unterschieden werden: In der synchronen Fernausbildung sind alle Beteiligten zum gleichen Zeitpunkt in einer Lehrveranstaltung, die etwa in der Form einer Videokonferenz, einer Telefonkonferenz oder auch nur eines Webinars durchgeführt wird. Demgegenüber werden in der asynchronen Fernausbildung dem Lernenden durch den Lehrenden Unterlagen bereitgestellt, die er selbst studiert. Hierzu können gehören:
- Dokumente (selbst erstellt oder verlinkt),
- audiovisuelle Inhalte wie Podcasts oder Lernvideos (Tutorials, Screencasts oder andere Videos) oder
- Lernsoftware.
Der Lernfortschritt wird durch Aufgabenstellungen überwacht bzw. der Lernende weiter zum Selbststudium angeregt.
Technische Möglichkeiten
Die Bundeswehr stellt für die digitale Lehre die Plattform iTAPBw (integrierte Ausbildungsplattform) bereit. Die iTAPBw bedient sich verschiedener Open Source- Softwarewerkzeuge: Mahara, Moodle, OpenMeetings und RessourceSpace. Der eigentliche Kern ist das Lernmangementsystem („LMS“) Moodle, in das OpenMeetings für Videokonferenzen oder Webinare eingebunden ist. In Moodle können einzelne Kurse erstellt werden, in die sich Teilnehmer einschreiben können. In diesem Kurs können dann:
- Unterlagen, Aufgaben und Tests zur Bearbeitung nach Bedarf bereit gestellt werden,
- Informationen über Chats und Foren geteilt werden oder
- der Lernfortschritt kann nachverfolgt werden.
Für Gruppenarbeiten können separate Gruppenräume erstellt werden sowie Inhalte nur für bestimmte Gruppen verfügbar gemacht werden. Weitere Lernprogramme können über eine sogenannte SCORM-Schnittstelle eingebunden werden. Und wo der persönliche (oder zumindest der audiovisuelle) Kontakt erforderlich ist, kann wie bereits erwähnt OpenMeetings genutzt werden.
Die auf der iTAPBw genutzten Softwareplattformen sind wie gesagt OpenSource und werden auch von anderen Bildungseinrichtungen genutzt. Es gibt aber auch grundsätzlich eine Fülle von Alternativen, die als OpenSource als kommerziell bereit gestellt werden. Als LMS ist neben Moodle auch ILIAS (ebenfalls OpenSource) weit verbreitet. Für Videokonferenzen lassen sich unter anderem die bekannten kommerzielle Systeme (z.B. Skype, Zoom, AdobeConnect) nutzen; daneben gibt es auch verschiedene OpenSource-Programme.
Bei der Wahl eines dieser Programme für seine Lehrveranstaltung muss man sich immer die Frage stellen, für welchen Zweck und was für eine Art von Lehrveranstaltung man sie konkret nutzen will (Webinar, Videokonferenz, virtueller Klassenraum). Denn sie sind nicht alle gleich gut für jeden Zweck geeignet.
- Die Nutzung eines LMS ist dann zweckmäßig, wenn es verschiedene Kurse zu verwalten gibt, bei denen nur den jeweils eingeschriebenen Teilnehmern der Zugang zu Dokumenten oder auch Videokonferenzen eingeräumt werden soll. Sofern nur ein Kurs angelegt werden soll, können auch in vielen gängigen Webinar-Programmen kursbegleitende Dokmente geteilt werden.
- Die isolierte Nutzung einer Videokonferenzsoftware stellt das Lehrpersonal vor die Herausforderung, wie Inhalte zur Vor- oder Nachbereitung geteilt werden. Einige Softwareprodukte bieten hierfür Lösungen an. Ebenso sollte die Möglichkeit bestehen, Präsentationen während der Lehrveranstaltung zu teilen. Nicht jede Software bietet diese Möglichkeiten.
- Lehrveranstaltungen, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Ton und Bild zugeschaltet werden, sind bei mehr als 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht mehr zu beherrschen. Hier ist die Alternative das Webinar, bei dem nur der Dozent mit Ton und Bild vertreten ist, während Fragen im Chat gestellt werden können. Der Nachteil des Webinars ist allerdings, dass es für alle Beteiligten sehr ermüdend ist.
- Generell ist m.E. bei Online-Lehrveranstaltungen nach einer Stunde „die Luft raus“.
- Es ist immer zweckmäßig, sich vorher über die Browser-Anforderungen der Software zu informieren. Es kann sehr frustrierend sein, wenn jedes Mal die ersten Minuten einer Veranstaltung mit der Fehlerbehebung verbracht werden müssen.
- Die Bandbreite des zur Verfügung stehenden Internets kann sich zu einer Herausforderung entwickeln. Gerade wenn eine ständige Synchronisierung aller Teilnehmer erfolgt, kann es sein, dass eine einzige Person eine gesamte Lehrveranstaltung ausbremsen kann.
Möglichkeiten der digitalen Lehre
Unabhängig von der technischen Leistungsfähigkeit habe ich mir die Frage gestellt, was digitale Fernausbildung leisten kann? Kann sie etwa die Präsenzausbildung ersetzen? Die Frage zu stellen heißt, sie zu verneinen. Bereits aus der Natur der Sache ergibt sich in einigen Fächern die Notwendigkeit einer Präsenzausbildung: in den Naturwissenschaften kann das Experiment nur im Labor durchgeführt werden; und beim Militär die Schießausbildung oder die Truppenübung nur auf dem Übungsplatz.
Das würde aber auch niemand ernsthaft fordern. Im Übrigen halte ich die Gegenüberstellung von Fernausbildung und Präsenzausbildung im Sinne von „Führen wir den Lehrgang XYZ in Präsenz- oder Fernausbildung durch?“ für verfehlt. Die Fernausbildung hat ihre eigene Methodik/Didaktik. Es ist nur sehr eingeschränkt möglich bis unmöglich, eine Vorlesung oder ein Seminar 1:1 „ins Internet“ zu verlegen.
Der methodische Werkzeugkasten beschränkt sich im Wesentlichen auch auf die Vorstellung einer eine Präsentation, ggf. ergänzt durch Umfragen oder Ähnliches. Über über mehr als eine Stunde rein passiv konzentriert auf einen Bildschirm zu starren, ist sehr anstrengend und lässt die Konzentration schwinden.
Darüber hinaus lässt sich eine Videokonferenz, bei der alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu sehen und zu hören sind, sinnvoll nur mit maximal 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchführen; und je mehr teilnehmen, desto schwieriger ist eine echte Interaktion. Webinare vergrößern den Teilnehmerkreis, die Interaktion wird allerdings noch weiter eingeschränkt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es auch für den Dozenten sehr unangenehm ist, über eine längere Zeit gefühlt nur mit dem Bildschirm zu sprechen.
Hieraus folgt, dass sich in der Fernausbildung synchrone und asynchrone Anteile ergänzen müssen. Das angeleitete Selbststudium muss einen wesentlich höheren Stellenwert bekommen. Während etwa in den „klassischen“ Lehrgängen oder universitären Vorlesungen (mit Ausnahme der USA), in denen ich unterrichtet habe, das Selbststudium allenfalls zur Nachbereitung des Unterrichtes oder der Klausurvorbereitung diente, hat das Selbststudium in der Fernausbildung eine eigenständige Rolle, die durch die Präsenz abgerundet wird. Die Herausforderung liegt darin, das Selbststudium sinnvoll anzuleiten (Nicht: „Bis nächste Woche lesen Sie Seiten 1-100 in dem Buch und machen sich hierzu Gedanken.“). Lernpfade müssen aufgezeigt und in der Präsenz moderiert werden.
Ein Faktor, der bei der Fernausbildung zu kurz zu kommen droht, ist die soziale Interaktion unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie zwischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und den Dozenten. In meiner Erfahrung kommen im informellen Pausengespräch gelegentlich Dinge zur Sprache, die weiteren Lernbedarf aufzeigen. Ggf. lässt sich durch informelle Formate wie Videokonferenzen ohne ein festgelegtes Thema – rein zum Plausch – diese Lücke füllen.
Digitale Lehre lässt aber auch Möglichkeiten zu, die in der Präsenzlehre nur sehr eingeschränkt möglich sind. Ich möchte hier zum Beispiel das Schlagwort „Gamification“ nennen. Hiermit möchte man beschreiben, dass Lerninhalte spielerisch in Form von Computerspielen vermittelt werden können. Dies setzt allerdings eine umfangreiche technische Vorbereitung voraus, die durch normales Lehrpersonal in der Regel nicht zu leisten ist. Ebenso bieten gut gestaltete Lernvideos – jederzeit nach Bedarf abrufbar – Möglichkeiten der Visualisierung, die in der Präsenzlehre so nicht zu finden sind.
Zusammenfassung und Ausblick
Auch wenn Fernausbildung die Präsenzlehre aus den genannten Gründen nicht ersetzen kann, wird sie aufgrund von Corona nolens volens ein Baustein in der Ausbildung bleiben. Will man das Potential nutzen, muss man sich über die didaktische Struktur der Lehrveranstaltungen Gedanken machen. In meiner Bewertung wird das (asynchrone) selbständige Lernen über jederzeit verfügbare Inhalte und Aufgaben eine sehr viel stärkere Bedeutung erlangen, während sich die Bedeutung des (synchronen) Unterrichts in Videokonferenzen auf eine Art Moderation beschränken wird. Auf die Risiken wurde in der Presse bereits hingewiesen: Personen, deren Kompetenz darin, ihr eigenständiges Lernen zu strukturieren, schwach ausgeprägt ist, und die keinen physischen Raum zum Selbstlernen besitzen, werden vor erhebliche Herausforderungen gestellt, auf die es Antworten zu finden gilt.